Saturday, February 03, 2007

Überraschung auf dem Golan

„Fühlen Sie als Druse sich von der israelischen Regierung angemessen behandelt?“ – „Nein, ganz und gar nicht.“ – „Können Sie das konkretisieren?“ – „Nun, ich gehöre zu den 600 Drusen auf dem Golan, die die israelische Staatsangehörigkeit angenommen haben. Und Israel behandelt die 19 000 Drusen, die dies nicht getan haben, genauso gut wie mich. Die pro-syrischen Drusen erhalten die gleichen Vergünstigungen wie jeder israelische Bürger, sie profitieren vom israelischen Gesundheitssystem und erhalten Jobs in den Stadtverwaltungen. Das ist ungerecht!“

Mein britischer Kollege staunt nicht schlecht über die Antwort von Samir, den wir in einem Restaurant im Drusenort Mas’ade treffen. Und auch dessen nächste Aussage entspricht wohl kaum dem, was er von einem Araber, der in von Israel annektiertem Gebiet lebt, erwartet hätte. Auf die Frage, was er zu tun gedenke, falls der Golan an Syrien zurückgegeben werden sollte, antwortet der Druse ohne zu zögern: „Ich werde nach Kanada auswandern. Ich habe schon alles organisiert.“

„Ich gehe auch nach Kanada“, sagt der Restaurantbesitzer Salim, der dem verdutzten englischen Journalisten auch noch erklärt, Samir und er seien Mitglieder des Likud. Hinter ihm hängt ein Poster: „Ariel Sharon, Ministerpräsident“.

Warum Kanada? „Der syrische Geheimdienst hat über jeden einzelnen Drusen auf dem Golan ein Dossier. Das erste, was die Syrer machen, wenn sie den Golan erhalten, wird es sein, Kollaborateure zu jagen, zu foltern und zu töten. 70 Prozent der 20 000 Drusen auf dem Golan möchten eigentlich gerne die israelische Staatsangehörigkeit annehmen – trauen sich aber nicht, weil Israel nicht entschieden klar macht, dass der Golan immer israelisch bleiben wird.“

Und dann setzt sich ausgerechnet ein Siedler vehement für die Räumung des Golans ein: Gary, ursprünglich aus Manchester, 1973 unmittelbar nach dem Yom-Kippur-Krieg auf den Golan gezogen, „um ein Zeichen zu setzen“, sitzt ebenfalls an unserem Tisch. „So sehr es schmerzt, für den Frieden werden wir bald jeden einzelnen Quadratzentimeter des Golan zurückgeben müssen.“ Dabei befürwortet Gary, der mit Bart und Schlabberjeans aussieht, als komme er geradewegs aus Woodstock, einen Rückzug auf die Linien vom 4. Juni 1967 – was bedeuten würde, dass Syrien einen direkten Zugang zum Nordufer des Sees Genezareth erhalten würde (im Teilungsplan von 1947 hatten die Vereinten Nationen Israel beide Ufer des Sees zugeschrieben, im Krieg von 1948/49 konnte Syrien sich dann jedoch einen Brückenkopf am Ufer erkämpfen.). Und damit macht Gary das ideologische Durcheinander komplett: Siedler für den Frieden, Araber für ewige Annexion umstrittener Gebiete durch Israel. Welcome to the Middle East.

Bedenkenswert war schließlich der Lösungsvorschlag von Ramona vom Golan Residents Committee: Die Angelegenheit solle analog zum Alexandretta-Modell geregelt werden. Vor ziemlich genau zwei Jahren hatte Syrien fernab aller Kameras die türkische Souveränität über dieses jahrzehntelang zwischen beiden Ländern umstrittene Gebiet anerkannt. (Was dieser Lösung im Wege steht, kann man hier nachlesen.)

Auf der Rückfahrt nach Jerusalem mache ich dann einmal mehr Bekanntschaft mit dem bemerkenswerten Selbstverständnis mancher Journalisten: Der bereits erwähnte britische Kollege beklagt sich laut und bitterlich über die Verfolgung durch Blogger. Besonders schlimm sei es während des Libanonkrieges gewesen. Wie üblich räumt er großzügig ein, es habe damals einen einzigen Fall von Bildfälschung gegeben (die läppischen Rauchwolken über Beirut), alles andere seien aber Propagandalügen von proisraelischen Bloggern gewesen. Als ein Kollege von Haaretz (!) den Fall des vermeintlich von der israelischen Luftwaffe bombardierten Krankenwagens anführt, der von Bloggern ziemlich aufwendig und eindeutig als Fälschung entlarvt worden sei, erwidert er: „It’s all lies. I saw the victims of the ambulance incident, I spoke to them. They told me they had been attacked by the Israeli Air Force although their ambulance was clearly marked. Those bloggers all have an agenda.” Haaretz: “Doesn’t everyone have an agenda? I do have one.” Brite (außer sich): “What? I am a journalist! I don’t have an agenda! I am impartial!” Klar. Gerade er.


"Coffee Annan", Har Bental, Golan. (Fotos: RtD)

2 Comments:

Blogger orcival said...

oeh, mal ne frage zum thema transparenz.
bist du autor(in?) fuer beide blogs (also hier und s-and-w) oder wie?
ich bin verwirrt.

ansonsten neben dem schicken artikel besticht der eintrag durch sehrsehr schicke fotos....

2:20 PM  
Blogger Rowlf the Dog (Gastautor) said...

@orcival
Vielen Dank für die Blumen!

Zum Thema Transparenz: Die Klammer sagt es schon - ich habe eine freundliche Einladung von CC angenommen und werde in Zukunft von Zeit zu Zeit als Gastautor bei SoE auftauchen. (Meine Nebeneinnahmen werde ich Dir aber nicht anzeigen.)

Rowlf ist nun wirklich extrem maskulin! Dieses Fell, die Augen, die markante Nase...

7:57 PM  

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